Tag 26 - O'paddelt is!

Morgens blieb uns nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass es endlich 12 Uhr wurde. Dann nämlich würde der Laden in Kiruna öffnen, wo wir wegen der SIM-Karte noch einmal nachfragen wollten. Wir räumten den Camper auf, rüsteten gegen Mücken auf und luden Blog-Beiträge hoch.

Die Stimmung war nicht gerade überwältigend, wir hatten uns unseren letzten Urlaubstag ein klein wenig anders vorgestellt. Ich brauchte viel Kaffee an diesem Vormittag und musste schmunzeln über die Dosierungsempfehlung auf der Packung.

Während in Deutschland in der Regel angegeben ist, wieviel Kaffeepulver man für eine Tasse verwenden soll, war auf der norwegischen Kaffeepackung die Packung pro Liter. Bekanntlich wird nirgendwo sonst so viel Kaffee getrunken wie in Skandinavien. Wobei sich die Länder an der Spitze abwechseln - vermutlich abhängig davon, von wem und wie die Statistik erstellt wurde.

Um kurz vor 12 fahren wir dann nach Kiruna. Die Stadt ist nicht schön. Zum einen wird das Stadtbild sehr geprägt durch den Bergbau. Zum anderen zieht die Stadt gerade um, weil weite Teile aufgrund des Bergbaus absacken und die Häuser nicht mehr sicher sind.

Blöderweise hat der Elgiganten in der Sommerzeit sonntags doch nicht geöffnet. Wir waren ein wenig genervt und nicht die Einzigen, die davon überrascht waren. Auch ein paar Einheimische standen vor der Tür und guckten blöd.

Tja, was tun? Wir beschlossen, dass es Zeit für einen Campingplatz war und fuhren nach Alttajärvi. Der Campingplatz in Kiruna selbst hat nicht so gute Bewertungen (voll, dreckig, laut), darauf hatten wir keine Lust. Und wir haben es auch nicht bereut.

Der Platz war recht hübsch mit lauter Hütten zwischen Bäumen etc. Und da wir keinen Strom benötigten, konnten wir uns den Stellplatz auch relativ frei aussuchen und uns direkt ans Wasser stellen.

Witzige Begebenheit: Auf dem Campingplatz stand der Berliner, der sich sechs Tage zuvor in Forsøl neben uns gestellt hatte.

Weniger witzig: meine Social Skills. Als wir an der Rezeption warten mussten, hörte ich hinter mir ein “Moin Rostock!” Es dauerte eine Weile, bis ich mich angesprochen fühlte. Schließlich heiße ich nicht Rostock. Ich drehte mich um und sagte nur: “Moin”, dann drehte ich mich wieder zurück.

Später versuchte ein anderer Gast die Kontaktaufnahme und stellte nach drei Sätzen Unterhaltung fest, wie angenehm es sei, endlich mal wieder mit einem Deutschen zu reden. Darauf ich: “Naja, wir waren jetzt 3 Wochen in der Finnmark und haben praktisch mit niemandem geredet. Das war eigentlich auch sehr angenehm.” Darauf endete die Unterhaltung abrupt.

Nach dem Essen beschlossen wir, das schöne Wetter zu nutzen und eine Runde auf dem See zu paddeln. Wir bauten die Boote auf. Währenddessen machten sich vier Frauen mit den Mietbooten des Campingplatzes auf den Weg.

Ruderboote

Ich hatte ja auch erst überlegt, einen dieser Seelenverkäufer zu nehmen statt unsere Boote aufzubauen. Aber da wir die Teile nun schon seit fast vier Wochen mitschleppen, konnten wir sie auch mal nutzen. Gegen 16:30 Uhr paddelten wir los.

Wind und Strömung auf dem See waren nicht ohne für unsere Kajaks, die ja Faltboote mit Luftkammern sind. So lange wir paddelten ging es ganz gut, nur länger unterbrechen sollte man das Paddeln nicht. So paddelten wir eine ganze Weile vor uns hin. Und als wir merkten, dass der Wind noch mehr auffrischte, fiel uns auch auf, dass die Frauen mit den Ruderbooten immer weiter abtrieben.

Schon als sie ihre Rudertour starteten, stellten wir fest, dass die eigentlich nicht ruderten, sondern eher hilflos im Wasser rumstocherten. Und mit der Technik kamen sie halt nicht gegen die Strömung an. Während das eine Boot bereits am gegenüberliegenden Ufer festhing, trieb das andere Boot immer weiter den See hinunter.

Wir waren hin und her gerissen, der Wind wurde stärker, aber wir hatten im Gegensatz zu den vier Frauen bisher keine Probleme. Und eigentlich hatte ich darauf auch gar keine Lust, aber wir beschlossen, dorthin zu paddeln und zu fragen, ob vielleicht Hilfe benötigt würde.

Die zwei Rudererinnen waren sichtlich froh, dass sich jemand ihrer annahm. Wir versuchten ihnen zu erklären, wie sie richtig rudern. Da wir da aber auch nicht wirklich vom Fach sind und sich unsere Ruderkenntnisse auf irgendwelche Ententeiche in Parks geschränken, war das nicht so einfach. Und während der Herr Lebensabschnittsgefährte weitere Erklärungsversuche startete, paddelte ich mal zu dem anderen Duo, um zu sehen, ob da denn alles in Ordnung sei.

Die erzählten mir, dass sie bereits mit irgendjemandem telephoniert hätten und dass wohl Hilfe unterwegs sei. Da ich drohte, mit meinem Kajak gegen das steinige Ufer gedrückt zu werden, bat ich um Verständnis, dass ich wieder zu den anderen zurück paddeln würde.

Eigentlich hätte ich es an der Stelle ja gerne gehabt, dass die Damen nun selbst zurecht kamen und wir wieder zum Campingplatz zurückpaddeln könnten. Es wurde nämlich immer ungemütlicher auf dem See.

Beim anderen Boot war der Herr Lebensabschnittsgefährte zu dem Entschluss gekommen, ins Ruderboot umzusteigen, um so den Ladys vielleicht besser helfen zu können. Ich hielt sein Kajak fest, bis er umgestiegen war. Dann band er das Kajak hinten am Ruderboot fest. Allerdings konnte er da rudernderweise auch nicht so viel ausrichten.

Da die Situation langsam brenzlig wurde, ich musste die ganze Zeit gegen Wind und Wellen paddeln, um nicht abgetrieben zu werden, beschloss ich, zum Campingplatz zurück zu paddeln und die ganzen Schiffbrüchigen hier ihrem Schicksal zu überlassen. Ich hatte wenig Lust, auch noch in diese Situation zu geraten.

Ich paddelte, was das Zeug hält. Ich war ewig unterwegs, es schwappte trotz Spritzschutz immer wieder mal ein wenig Wasser ins Boot und die Ärmel meiner Jacke waren klitschnass. Stellenweise kam ich überhaupt nicht vorwärts, sondern paddelte nur, um nicht weiter abgetrieben zu werden. Die Windböen waren schon recht heftig. Und auch die Wellen waren mittlerweile hoch genug, dass sie mein Boot hätten umwerfen können. “Bloß nicht aufhören zu paddeln!”, dachte ich mir die ganze Zeit. Wenn man aufhört zu paddeln, ist man eigentlich verloren. Auf kentern in diesem eher frischen Wasser mitten im See hatte ich ja mal gar keine Lust.

Die Erfahrung, die ich als 11-jährige im Starnberger See machte, als ich zusammen mit meiner damals besten Freundin mit dem Opti mitten im See gekentert bin, reicht mir eigentlich fürs Leben. Wir waren wirklich mitten im See und keiner hatte das Kentern mitbekommen, da aufgrund der Wetterlage nicht viel los war auf dem See. Nach einer gefühlten Ewigkeit zog uns ein Ausflugsschiff, das normalerweise Touristen über den See karrt, aus dem Wasser.

Ich paddelte also unermüdlich weiter, auf eine solche Erfahrung hatte ich nämlich nicht noch einmal Lust. Irgendwann kam ich endlich und ziemlich fertig am Campingplatz an, wo ich bereits erwartet wurde. Schon von weitem sah ich, dass einige Gäste gebannt aufs Wasser starrten. Als ich mein Boot an Land zog, erzählte mir jemand, dass bereits Hilfe unterwegs sei. Irgendwie wusste dort jeder von der misslichen Lage, in der sich die zwei Ruderboote befanden.

Nachdem ich ein wenig durchgeatmet und meine Rettungsweste ausgezogen hatte, ging ich erstmal zur Rezeption, um zu sehen, was ich an Hilfe erreichen konnte. Der Mitarbeiter dort konnte nicht weg, meinte aber, es sei das Beste, wenn die zu Fuß zur nächsten Straße laufen würden.

Der war witzig. Bis zur nächsten Straße wäre es für die drei etwa 700 Meter zu laufen gewesen. Und das stellte sich wie folgt dar:

Unwegsames Gelände

Unwegsames Gelände und zwei Frauen mit Sandalen und ein Typ in Badeschuhen. Tolle Idee!

Boote

Der Herr Lebensabschnittsgefährte baute sein Boot ab. Das würde die Rettung etwas vereinfachen, dann müsste nur das Ruderboot gezogen werden. Den Rucksack mit dem Kajak schmiss er ins Ruderboot. Allerdings musste er vorher noch eine der Bootsleinen vom Kajak lösen, da die Leine vom Ruderboot sich bei Berührung in Wohlgefallen auflöste und es sonst nicht möglich war, das Ruderboot an einem Baum am Ufer festzumachen.

Es dauerte noch ziemlich lange, bis jemand kam, um die Ruderboote zurück zum Campingplatz zu schleppen. Zwischenzeitlich war auf dem Platz noch jemand eingetroffen, der scheinbar etwas zu sagen hatte. Ich weiß nicht genau, wer die Frau war, aber sie organisierte wohl die Rettung. Es gibt dort keine dauerhaft besetzte Rettungsstelle, das sind zwei Männer, die das privat mit ihrem eigenen Boot machen.

Rettung naht!

Nach Auskunft des Herrn Lebensabschnittsgefährten klang der Außenborder des Bootes zudem nicht sonderlich vertrauenserweckend. Es war nicht ganz unwahrscheinlich, dass noch ein weiteres Boot in Seenot geraten könnte.

Rettung

Insgesamt war es nicht gerade das größte und kräftigste Boot, das da gekommen war. Aber natürlich beschwerte er sich nicht, sondern war froh, dass überhaupt jemand gekommen war.

Später holten die beiden Retter dann noch das andere Boot und die anderen zwei Frauen. Und abends kamen alle vier nochmal zu uns, um sich zu bedanken. Die waren total happy, dass sich überhaupt jemand um sie gekümmert hat und wir sie nicht einfach wieder alleine gelassen haben.

Es ist im Nachhinein nicht mehr leicht und vor allem nicht ganz einwandfrei zu rekonstruieren, wie lange das alles gedauert hat und wie weit ich gepaddelt bin, aber Anhand von Exif-Daten und Luftlinienmessungen in Karten-Apps sowie SMS, war ich wohl etwa eine halbe Stunde für 700 bis 800 Meter unterwegs.

Windgeschwindigkeiten

Mittags hatte ich mal einen Screenshot vom Wetter gemacht. Eigentlich ja, weil zum ersten Mal wieder ein Sonnenuntergang angekündigt wird. Nun hat er noch den Zusatznutzen, dass man die Windgeschwindigkeit sehen kann. 47 km/h in den Böen ist im (teil-)aufblasbaren Paddelboot schon eine Hausnummer.

Was für ein Tag! Nach diesem krönenden Abschluss unseres Urlaubes gab es für uns nur noch die Dusche, das Abendbrot und dann Füße hoch und Film gucken im Camper.

Zum Schluss wie immer die Statistik: 51 Kilometer sind wir an diesem Tag gefahren.

51 km