Über Zingst und Velgast zurück nach Rostock

Wir hatten ziemlich lange geschlafen, es war schon halb Acht oder so, als wir am nächsten Morgen aufwachten. Ich schlürfte meinen Kaffee im Bett, während der Lebensabschnittsgefährte duschen ging. Dann verspeisten wir unser mitgebrachtes Frühstück, bestehend aus O-Saft, Kaffee, Brot und Nudossi. Nach dem Frühstück ging ich unter die Dusche, wir packten unseren Kram zusammen und suchten die Vermieterin. Wir mussten noch das Zimmer bezahlen und unsere Fahrräder aus der Garage holen. Die Vermieterin zeigte mir noch die anderen Zimmer, die sie im Haupthaus zu vermieten hatte. Alles war sehr gemütlich eingerichtet, die Küche der Gastgeber konnte mitbenutzt werden. Hier würden wir sicher nicht zum letzten Mal übernachten, das stand für uns eigentlich schon fest.

Wir verabschiedeten uns und radelten noch einmal durchs Dorf. Als nächstes wollten wir durch den Wald bis zur Ostseeküste radeln. Am Ende des Dorfes befragten wir eine der Karten-Apps vom Lebensabschnittsgefährten, wo es denn nun weiterging. Gegenüber war ein Feldweg, diesen fuhren wir entlang. Das ging auch ganz gut bis zur nächsten Baumgruppe, danach sah der Feldweg so aus:

Radweg

Nun ja, warum nicht. Die Geländegängigkeit unserer Trekking-Räder ist zwar eher mäßig, aber da es trocken war, kamen wir ganz gut voran. Danach ging es weiter durch den Wald.

Nach einem Stück Weg hatten wir die Route erreicht, zu der wir eigentlich wollten, einer der Haupt-Wege durch den Wald.

Der Wald war richtig toll, vor allem noch richtiger Wald und kein aufgeräumter Forst. Totholz bleibt überwiegend liegen, es gibt jede Menge Farne und Pilze, verschiedene Baumarten und alles, was ein Wald zum Leben braucht. Die Wurzeln mancher umgekippter Bäume sind schon ziemlich beeindruckend.

Umgekippter Baum

Wir blieben immer wieder mal stehen und sahen uns Details an oder verharrten eine Weile bewegungslos, um den gefiederten Waldbewohnern zu lauschen. Kurz bevor wir am Ende des Waldes angekommen waren, kreuzte sogar eine Kutsche unseren Weg. Diese Kutsche fährt im Liniendienst zum Natureum und Leuchttum Darßer Ort. Auch da müssen wir unbedingt mal hin! Vorerst waren wir aber wieder an der Ostsee angekommen und der Meinung, dass wir uns ein zweites Frühstück verdient hatten.

Anschließend kämpften wir uns größtenteils schiebend ein Stück den sandigen Weg in den Dünen entlang. Der Weg war wirklich toll, aber mit dem Fahrrad doch ein wenig zu anstrengend. Bei der nächsten Gelegenheit bogen wir ab Richtung Landesinnere und mussten dann den Prerower Strom überqueren, was mir zugegebenermaßen ein wenig schwer fiel.

Die Kunststoffteile, auf denen man da laufen musste, erinnerten an leere Kanister. So klangen sie auch, wenn man darauf lief. Und einige gaben ganz schön nach. Dafür sah es ganz nett aus, wenn man in der Mitte des Stroms angekommen war und sich ein wenig umsah.

Prerower Strom

Wir radelten bis Zingst. Mittlerweile war ich auch ziemlich durch und hatte nicht mehr so viel Lust und Energie, mir noch dies und das und jenes am Wegesrand anzusehen. Unser nächstes Ziel war ein kleiner Abstecher zur Insel Kirr. Jedes Jahr rasten dort die Kraniche auf ihren Routen von Norden nach Süden bzw. umgekehrt. Zwar sind die tagsüber eher auf Futterplätzen als hier am Schlafplatz anzutreffen, aber ein paar Kraniche konnte man auf der Insel erahnen und mit meinem kleinen Fernglas, das ich dabei hatte, konnte ich sie auch erkennen.

Schwäne und Kraniche auf dem Kirr

Im Photo sind das nicht die weißen Vögel auf dem Wasser, das sind Schwäne, sondern die grauen Tüpfel auf der Wiese hinter dem Wasser. Hier mal ein Ausschnitt:

Kraniche auf dem Kirr

So weit, so unspannend. Richtig toll muss das sein, wenn die sich morgens auf den Weg zu den Futterplätzen machen oder wenn sie abends wieder zurückkommen. Man kann hier übrigens auch mit einem Fake-Schaufelraddampfer fahren.

Raddampfer

Im Kaufhaus gegenüber suchte ich noch mal das stille Örtchen auf, dann verabschiedeten wir uns von der Halbinsel und radelten entlang der L21 zurück Richtung Festland zum nächsten Bahnanschluss, der in Barth liegt.

Als wir gerade über die Behelfsbrücke geradelt waren, fiel mir auf, dass mein Tacho nicht mehr da war. So mussten wir nochmal ein Stück zurück. Dabei hatten wir Glück und mussten nicht allzu weit. Vor der gesperrten Meinigenbrücke steht eine Schautafel mit Karte, davor lag mein Tacho. Ich machte ihn wieder fest und wir fuhren weiter. Um 13:57 Uhr waren wir in Barth am Bahnhof, um 13:59 Uhr fuhr der Zug nach Velgast ab. Einen Fahrkarten-Automaten gab es nicht, das Ticket sollten wir im Zug lösen.

Bahnhof Barth

Während der Zugfahrt kam aber keiner. Stattdessen entdeckten wir, dass das Fahrrad des Lebensabschnittsgefährten dringend einen Doktor benötigte.

Hinterreifen kaputt

Hui, da hatten wir aber Glück! Zwar haben wir natürlich immer ein Reparatur-Set dabei, aber ein neuer Mantel beinhaltet das natürlich nicht. Nun ja. Da den Rest der Strecke nur noch Bahnfahren geplant war und wir im schlimmsten Fall, also bei Totalausfall des Rades, nur von der S-Bahn bis zu unserer Wohnung schieben mussten, war das Problem erstmal vernachlässigbar. Ein viel größeres Problem tat sich auf, noch bevor wir in Velgast waren, unser Anschlusszug war kaputt.

Screenshot 50 Minuten Verspätung

Oh je! Eine Stunde Wartezeit? Na hoffentlich gab es in Velgast irgendwo etwas zu essen! Das Dorf fasste immerhin etwas über 1.700 Einwohner, die würden ja auch nicht von Luft und Liebe allein leben, so dachte ich. Es dauerte aber nicht mehr lange, bis ich feststellen musste, dass ich mich irrte. Wir waren in Velgast.

Also eigentlich waren wir mitten im Nichts. Die beiden Bilder da oben zeigen den Blick einmal links, einmal rechts die Straße runter, wenn man den Bahnhof Velgast verlässt. Das imposante Bahngebäude ist stillgelegt und steht leer. Es gibt zwei überdachte Bahnsteige mit insgesamt drei Gleisen. Und man glaubt es kaum: Hier hält ein ICE! Und zwar die Linie 26.

Die einzige Infrastruktur dieses Bahnhofs bestand aus einem Bücherschrank der im ehemaligen Signalfernsprecherkasten untergebracht war.

Screenshot Zug fällt aus

Der Regionalzug, auf den wir warteten, war mittlerweile ganz kaputt und fuhr deswegen nicht mehr. Der nächste Regionalzug sollte zwei Stunden später fahren. Für 15:40 Uhr war ein IC geplant.

Nun denn. Wir hatten Hunger und machten uns auf, die Weltstadt Velgast zu erobern. Irgendwo müsste es doch auch in diesem Kaff irgendetwas Essbares geben. Aber irgendwie beschlich uns das Gefühl, in der falschen Zeitzone gelandet zu sein. Statt gut riechendem oder wenigstens halbwegs sättigendem Essen fanden wir Straßennamen wie "Platz der Solidarität", "Ernst-Thälmann-Straße", wir sahen einen Trabbi durchs Dorf fahren und am Bahnhof stand ein Wartburg geparkt. Irgendwann stießen wir auch eher zufällig auf eine Einwohnerin und fragten sie, ob es denn hier irgendwo etwas Essbares käuflich zu erwerben gäbe an einem Sonntag. Man ahnt es schon: Es gab nichts. Frustriert und hungrig fuhren wir zum Bahnhof zurück. Eine weitere Einwohnerin stand an ihrem Gartenzaun und grüßte und winkte uns zu. So oft kommen hier wohl keine Rad-Touristen durch.

Am Bahnhof teilten wir uns das letzte, was wir noch zu essen in den Fahrradtaschen hatten: eine Scheibe Käse, also für jeden eine halbe. Ich schwor mir, bei der nächsten Fahrradtour noch mindestens eine Packung Notfall-Kekse mitzunehmen! Zu der halben Scheibe Käse gab es einen Schluck Leitungswasser aus der Trinkflasche am Fahrrad. Die ganze Situation war an Trostlosigkeit kaum zu überbieten.

Der IC war pünktlich. Wir stiegen einfach samt Fahrrädern aber ohne Fahrkarten ein. Zwar hätten wir Karten für uns auch online kaufen können, aber Fahrradkarten kann man als Bahnreisender nicht in letzter Minute kaufen. Der Zugbegleiterin, die nicht begeistert darüber war, dass da einfach noch zwei Fahrräder zugestiegen waren, erklärten wir die Situation und dass wir ja nur bis Rostock fahren müssten. Da für die Fahrräder noch Platz war, ließ sie Gnade vor Recht ergehen und verkaufte uns zwei Fahrkarten. Meine Frage, ob es denn ein Bistro im Zug gäbe, wurde negativ beschieden. Wir würden wohl weiter hungern müssen.

Fahrräder im IC

Der Rest der Strecke verlief nicht nur ohne Essen, sondern auch ohne Probleme. In Rostock stiegen wir um in die S-Bahn und radelten das kurze Stück noch nach Hause. Ein anstrengendes aber schönes Wochenende ging zuende.