Umzug nach Berlin
Es ist 7:30 Uhr. Bernhard ist noch nicht da. 30 Minuten Zeit für Paranoia übelster Sorte! Meine Habseligkeiten: 2 Taschen mit Klamotten, 1 Karton mit Papierkram, 1 Kiste mit Computerkram, 1 Kiste mit Lebensmitteln (inkl. Flasche Champagner), TV + Stereoanlage, compi und schleppi und natürlich meine Fische samt Aquarium sowie mein Stoff-Elch (ich nehme nur das nötigste mit) stehen am Straßenrand und mittlerweile bin ich felsenfest davon überzeugt, verarscht worden zu sein. Diese Art von Humor kann ich insbesondere um 7:00 Uhr morgens gar nicht leiden. Ich ziehe gerade in Erwägung, Bernhard die Russen-Mafia auf den Hals zu hetzen, als der Golf Variant um die Ecke biegt. Ich pfeife meine Phantasie-Russen in letzter Sekunde zurück und Codo ran, der im Hauseingang gewartet hat. Die Sachen ins Auto, der Abschied kurz: „Mach’s gut, ich ruf nachher mal an…“ Wir hatten gestern abgesprochen, uns eine Schnulz-Szene zu ersparen.
Jetzt sitze ich im Auto neben einem wildfremden Mann auf dem Weg … tja, hier fehlen mir die passenden Worte für einen pathetischen Abgang. Jedenfalls sind wir erstmal auf dem falschen Weg auf der Autobahn und müssen bei der nächsten Ausfahrt wenden. Das ist aber nicht meine Schuld, sondern liegt am Amt, das für den Autobahnbau zuständig ist, weil’s hier nur für eine Richtung eine Auffahrt gibt.
Naja, man labert über dies und das, Small-Talk eben, Nichtraucher übrigens. Man redet übers www. Bernhard meint, dass es ja so Leute geben soll, die fast nur vor dem Rechner hängen und nächtelang chatten. Ähm ja, von denen habe ich auch schon gehört …
Was mich denn nach Berlin verschlägt, will er wissen. Freundeskreis, Sozialkontakte, blablabla. Ich erzähle irgendwas. Er muss dorthin, da er in der Familie einen Trauerfall hatte und nun die Wohnung des Verstorbenen an den Vermieter übergeben muss. Die Freisprecheinrichtung des Handys erteilt quäkend nähere Auskünfte, als die Vermieterin später anruft und ich unfreiwillige Zeugin des Gesprächs werde. Nachdem die Termin-Frage geklärt ist, erkundigt sich besagte Vermieterin ganz einfühlsam: „Was hat ihn denn zu dieser Verzweiflungstat getrieben?“
Ich kann nicht mehr, gucke angestrengt aus dem Fenster … bloß nicht laut loslachen … Er hat getrunken, war nun auch noch pleite … reiß dich bloß zusammen … Ich starre angestrengt aus dem Fenster. „Aber man kann doch trotzdem weiterleben“, quäkt es aufdringlich aus dem Lautsprecher. Ich verzichte auf mein Plädoyer, ich brauche dringend eine Zigarette, täusche Blasenschwäche vor, ich brauche frische Luft, sonst platze ich.
Der Rest der Fahrt verläuft fast schweigend. Ich bin müde. Der Akku von meinem Handy ist leer, ausgerechnet jetzt! Das Scheiß-Ding funzt auch nie, wenn man es wirklich braucht. Für die letzte SMS an Sophie reicht es gerade noch.
Wir sind da.
Soul und smu natürlich noch nicht. Also schleppe ich meinen Scheiß wiedermal fast alleine, Sophie hilft mir dabei. Pünktlich als wir fertig sind, kommen die Herren endlich und haben eine Überraschung für mich: Anstatt mich gleich geduscht, erschöpft und müde auf die Couch schmeißen zu können, machen wir heute Nacht einen Museumstrip. Verhaltener Jubel. Ich bin seit heute Morgen 6:00 Uhr (!) wach, habe außer ein paar Kirschbonbons noch nichts gegessen und würde gerne duschen. Wir fahren mit dem allernötigsten (Klamotten, Bettzeug, schleppi und Stoff-Elch) in smus Wohnung. Ich habe 15 Minuten Zeit, meine Sache auszubreiten, mich hier einzuleben und zu duschen.
Dann geht’s auch schon wieder weg von der gemütlichen Couch und hinein ins Nachtleben. Ich glaube, wir haben die halbe Stadt zu Fuß erkundet. Wir waren im Dom – Was kann es Wichtigeres geben als einen Kirchenbesuch am Tag des Umzugs?! Außerdem kenne ich jetzt einen weiteren McDonald’s, ein paar Nutten und endlich die Mutanten-Sammlung, die ich im Sommer schon sehen wollte.
Irgendwann nachts sind wir endlich daheim – und während ich das hier schreibe, ist sie wieder da, diese Fassungslosigkeit; weiß nicht, wie lange es dauert, bis ich hier wirklich daheim bin, das Urlaubs-Feeling vorbei ist und ich endlich fassen kann, hier jetzt zu wohnen – Ich bin todmüde und kaputt. Diesmal ohne jede Morbidität, ich bin einfach nur noch müde, meine Füße sind taub, die Beine erholen sich vermutlich nie wieder, mein Rücken bricht gleich durch und ich fühle mich erstaunlich gut.