Zum Gutachtertermin ins Büro

Alle drei Jahre steht fürs QMS eine Zertifizierung durch einen externen Gutachter an. In diesen Jahren habe ich immer ziemlichen Stress auf der Arbeit. Dieses Jahr war es wieder soweit und gestern war der Gutachter da. Dazu musste ich natürlich meine maritime Komfort-Zone verlassen und mich in die sozialen Niederungen der Niederrhein-Bronx begeben. Das gestaltete sich schwieriger als geplant.

Geplant war, montags zum darkinchen fahren, dienstags ins Büro und mittwochs wieder zurück an die Ostsee. Die Tickets hatte ich schon vor Wochen recht günstig gekauft, alles war gut und entspannt geplant.

Vorige Woche bekam ich eine E-Mail von der Bahn, dass meine gebuchte Verbindung im aktuellen Fahrplan nicht aufzufinden sei, ich solle mich doch bitte anderweitig orientieren. Ich hatte nun die Wahl, früher loszufahren, um zur selben Zeit anzukommen, oder über Hannover und weiter mit einem ICE mit “hoher Auslastung” zu fahren. Die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Zwei Tage später bekam ich eine weitere E-Mail, dass auch meine gebuchte Rückfahrt nicht mehr im System aufzufinden sei und ich mich doch bitte anderweitig orientieren solle. Die Rückfahrt dauerte nun 01:50 h länger, in Worten: eine Stunde und fünfzig Minuten! Meine Laune war nun unterirdisch und die Lust auf den Trip praktisch kaum noch vorhanden.

Sonntagabend meldete das darkinchen, dass ihre beiden Männer nun auch mit dem Magen-Darm-Virus infiziert seien, das in der Woche zuvor schon den Schwager und die Schwiegermutter heimgesucht hatte. Ich verzichtete daher auf den Besuch im hochinfektiösen Krankenlager. Darauf hatte ich ja nun wirklich keine Lust und sah zudem sowohl meinen Termin als auch meine Heimreise in Gefahr. Also musste ich auch diesbezüglich kurzfristig umdisponieren.

Mit welchem Recht nehmen Durchschnittshotels in der Niederrhein-Bronx eigentlich fast 100 Euro pro Nacht? Ich war einigermaßen fassungslos über die Preise, die in einem Kaff wie Krefeld verlangt werden. Und zu meinem großen Entsetzen ist es in Mönchengladbach oder Erkelenz nicht günstiger. Nun, da die großen Buchungsportale ja tatsächlich so funktionieren, dass man in letzter Minute noch Zimmer günstiger bekommt, wollte ich abwarten bis zum nächsten Tag, wie die Preise sich dann darstellten. Außerdem beschloss ich, schon am Dienstag nach dem Termin zurückzufahren, was soll ich denn zwei Nächte allein im Hotel. Da würde natürlich das Ticket auch nochmal teurer werden.

Die Nacht verlief eher mäßig und ich war ziemlich unausgeschlafen, als morgens unser Wecker klingelte. Der Lebensabschnittsgefährte machte sich wie üblich auf den Weg ins Büro, ich räumte noch ein wenig die Wohnung auf, packte meine Tasche, machte mich tageslichttauglich und ging dann los zur S-Bahn. Ich hatte geplant, eine S-Bahn früher zu nehmen. Schlechtes Zeitmanagement meinerseits und überpünktliches Losfahren der S-Bahn andererseits sorgten dafür, dass ich von der ausfahrenden Bahn nur noch die Rücklichter zu sehen bekam und 10 Minuten am nasskalten Bahnhof Lütten Klein warten musste.

Am Hauptbahnhof in Rostock besorgte ich mir noch einen Kaffee, während ich auf meinen ICE wartete, der pünktlich kam und pünktlich abfuhr. Bis Hamburg änderte sich an der Pünktlichkeit auch nichts. Auf dem Weg von Hamburg nach Hannover, ich hatte mich für “Cholera” entschieden, kamen wir auf freier Strecke zum Stehen. Ein ICE war liegengeblieben und stand im Weg. Laut Durchsage mussten wir zwei Züge passieren lassen, tatsächlich waren es drei Züge, die an uns vorbei rauschten. Dann konnten wir weiterfahren und auf eine Ausweichstrecke abbiegen. Mit etwa 20 Minuten Verspätung kamen wir in Hannover an. Da dort meine Umsteigezeit 52 Minuten betrug, war das kein großes Problem.

Verspätung

Ich hatte in Hannover noch Zeit, im Drogeriemarkt des Bahnhofs ein paar Kleinigkeiten zu besorgen. Ich benötigte unter anderem eine Nagelfeile. Vor lauter Kaffee und Schokolade, Kühlregal und Photoabteilung, Spielwaren und Nähzubehör fand ich aber kaum Drogerieartikel und war schon geneigt, die Verkäuferin zu fragen, ob dieser Supermarkt so etwas überhaupt noch führen würde, da fiel mein Blick auf das entsprechende Regal. Immerhin gab’s auch Kaffee, ich brauchte ja noch Zaubertrank. Schon praktisch, so ein Drogerie-Vollsortimenter.

Verspätung

Auch der Zug von Hannover nach Duisburg hatte ein wenig Verspätung, was ziemlich wild angekündigt aber dann doch nicht so schlimm war und außerdem dadurch kompensiert wurde, dass auch in Asitown die Umstiegszeit großzügig bemessen war. Dort erwartete mich eine Horde besoffener Fußballfans, eine Hundertschaft Polizisten und auf der Treppe zum Gleis, aus dem der Regionalzug nach Krefeld ausfuhr, zwei Polizisten mit Hunden, die sich rechts und links auf den Stufen postiert hatten. Die Hunde bellten jeden an, der die Treppe raufkam. Zwar hatten die Maulkörbe an und die Polizisten hatten die Tiere auch absolut unter Kontrolle, aber beeindruckend ist das schon. Alle Reisenden gingen in der Mitte im Gänsemarsch die Stufen hoch. Der Regionalexpress von Duisburg nach Krefeld haute dann noch ganz gut rein und kam mit fast 30 Minuten Verspätung in Krefeld an.

Hotel von außen

Das Hotel hatten wir morgens beim Frühstück gebucht. Da war es tatsächlich etwa 25 Euro günstiger als am Abend zuvor. Es war nicht weit vom Bahnhof entfernt, dort war ich wenige Minuten später angekommen. Zeitgleich mit mir lief eine ganze Horde überwiegend Männer dort auf, die beruflich unterwegs waren. Das Hotel liegt an einer Hauptverkehrsstraße mit Straßenbahn, was die Herren vor mir veranlasste, um ein Zimmer “nach hinten raus” zu bitten. Der Typ an der Rezeption erklärte lange und ausführlich, dass es leider nicht möglich sei, da das Hotel ausgebucht sei, und dass die Herrschaften das bei der Buchung hätten mit angeben müssen, damit man entsprechend hätte planen können. So weit so schlecht für den Typen, der nächste war dran und fragt doch tatsächlich genau dasselbe und ob denn wirklich nichts zu machen sei. Was denkt so einer eigentlich, warum der Rezeptionist dem Gast zuvor, der ja zur selben Gruppe gehörte und bei dessen Dialog schon aufmerksam zugehört wurde, schon eine Abfuhr erteilt hat? Als ich anschließend an der Reihe war, ließ ich es mir nicht nehmen, laut nach einem Zimmer mit Meerblick zu fragen.

Hotelzimmer

Das Zimmer war einfach und zweckmäßig und für mich ausreichend. Ich glaube, ich habe noch nie alleine in einem Hotel übernachtet. Allerdings war mir das Alleinsein gerade recht. Ich hatte auch keine Lust mehr, noch irgendetwas zu tun. Nachdem wir sonntags aus dem Norwegen-Urlaub zurück gekommen waren, musste ich montags direkt mit dem Programmheft anfangen und in drei Tagen erledigen, was ich sonst in zwei Wochen mache. Mittwochmittag war ich fertig, der Lebensabschnittsgefährte machte früher Feierabend und gemeinsam bereiteten wir die Wohnung vor und gingen einkaufen. Dann kamen die Schwiegereltern am späten Nachmittag und blieben bis Sonntag. Mein Bedarf an Menschen und Sozialkontakten war aufgrund der vergangenen zwei Wochen mehr als gedeckt. Da kam es mir echt nicht ungelegen, einen Abend für mich alleine zu haben. Und obendrein musste ich nochmal in die Unterlagen für den Termin am nächsten Tag schauen, um mich ein wenig vorzubereiten. Anschließend machte ich die Glotze an und legte mich ins Bett.

Morgens war ich schon um kurz nach Sechs wach. Ich war auch vorher schonmal wach, als die erste Straßenbahn fuhr. Und generell war der Straßenverkehr gefühlt extrem laut. So etwas bin ich ja gar nicht mehr gewohnt, in unserer Plattenbausiedlung herrscht nachts eine Ruhe wie auf einem Friedhof. Ich hatte meinen Zaubertrank dabei, der notfalls auch mit heißem Wasser aus dem Hahn zubereitet wird. Ich telephonierte mit dem Lebensabschnittsgefährten und surfte ein wenig im Internet herum. Dann machte ich mich fertig und packte meine Tasche. Um kurz nach 8 Uhr machte ich mich auf den Weg. Unterwegs kehrte ich noch beim Rewe ein und besorgte mir beim Bäcker dort ein Frühstück und etwas für mittags im Zug. Dann lief ich weiter zum Büro. Dort war noch niemand, aber glücklicherweise habe ich einen Schlüssel und nach wenigen Minuten kam auch meine Kollegin.

Chef und auch der Gutachter kamen recht pünktlich. Chef hatte Kekse mitgebracht, leider mit Kokos. So ließ ich die Herren alleine mampfen und schlürfte nur meinen Kaffee. Der Gutachter war recht angetan von meinem QMS und unserem Team und überhaupt und alles toll. Termin durch, Zertifikat wird erteilt, alles Paletti. Zeit, die Heimreise anzutreten.

Die meiste Zeit der Fahrt saß ich nur da und starrte vor mich hin und aß all das Zeug, was ich mir morgens beim Bäcker und mittags am Bahnhof gekauft hatte. Zudem hatte ich im Auto meiner Arbeitskollegin einen Schokoriegel aus Tschechien gefunden und ihn mir erbettelt. Zu trinken hatte ich auch genug. Nur Lust zu irgendetwas hatte ich nicht mehr. Der Tag war ziemlich lang gewesen. Umsteigen musste ich in Duisburg, Hannover und Hamburg. Und Dank der eingangs erwähnten Fahrplanänderungen musste ich den letzten Teil der Reise auch noch mit dem Regionalzug antreten.

Regionalbahn

Immerhin kam beim Anblick des Zuges endlich Heimatfeeling auf.

HanseExpress

Etwa 2,5 Stunden braucht der HanseExpress von Hamburg nach Rostock. Und die meiste Zeit davon hatte ich Unterhaltung durch die anderen Fahrgäste. Ich saß schräg gegenüber vom Kaffee- und Snack-Automaten. Ja, so etwas gibt es hier im Norden noch!

Automaten im Zug

Der Snack-Automat funktioniert eher mäßig. Vollstopft mit viel zu großen Tüten sorgt er immer wieder für Unmut bei den Reisenden. Ich hatte Gelegenheit, entsprechende Feldstudien zu betreiben. Und dann kam die Zugbegleiterin mit einem Typen zu ihrem “Büro” zurück, der offenbar keinen Fahrschein hatte. Er hatte wohl eine Fahrt mit einem bekannten Bus-Unternehmen gebucht, die aber nicht stattgefunden hat. Stattdessen riet man den Kunden, die Bahn zu benutzen. Dieser Kunde hier hatte aber keinen Fahrschein für die Bahn und auch kein Bargeld dabei. Die Zugbegleiterin riet ihm, über die App der Bahn ein Ticket zu kaufen, das er ihr dann vorzeigen solle. Er setzte sich neben mich und versuchte, diesen Rat in die Tat umzusetzen.

Wir waren mittlerweile in Mecklenburg-Vorpommern, was in diesem Zusammenhang als Synonym für “Internetfreie Zone” zu verstehen ist. Eine App im Zug nach Schwerin runterladen, die Frau hat Humor. So war der Typ auch eine ganze Weile damit beschäftigt und schon extrem nervös, dass das vielleicht nicht klappen könnte. Dazu wäre noch zu erwähnen, dass der Gute insgesamt etwas hilflos und komplett überfordert mit sich und seinem Leben wirkte. Aber noch vor Schwerin hatte er es geschafft und die App installiert sowie ein Ticket gekauft und via PayPal bezahlt. Dies präsentierte er der Zugbegleiterin und man sah und hörte förmlich den Stein, der ihm von Herzen fiel.

Als nächstes begann er damit, in seinem Rucksack rumzukramen. Augenscheinlich kratzte er sein Kleingeld zusammen. Dann begab er sich an den Automaten und bezahlte und wählte eine Tüte mit Essbarem. Die blieb, man ahnt es schon, stecken. Er warf erneut Geld ein und wählte noch einmal dieselbe Tüte und hatte Glück: Es fielen beide durch. Er warf einen Blick auf den Getränkeautomaten, zählte das Kleingeld in seiner Hand und ging resigniert zum Platz zurück.

Erneut begann er, in seinem Rucksack rumzukramen. Damit hörte er auch die nächste halbe Stunde nicht auf. In jedes Fach des Rucksacks sah er mindestens drei- bis viermal rein, kontrollierte mehrmals seine Hosentaschen und sämtliche Behältnisse, die sich in seinem Rucksack befanden. Jede Münze, die er fand, legte er vor sich auf den Sitz in eine Reihe. Ich zählte mit, er war bei 0,97 Euro angekommen, ein Getränk kostet 1,00 Euro. Irgendwann wirkte er schon ziemlich verzweifelt. “Wieviel Geld fehlt dir denn?”, fragte ich ihn. “10 Cent”, meinte er. Das Kupfergeld nimmt der Automat ja vermutlich nicht. Mit tat der Pechvogel leid und ich gab ihm die 10 Cent. Ziemlich happy holte er sich sein Getränk und nahm dann sein Abendesse zu sich.

Wir waren endlich in Rostock. Zwischendurch hatte ich das Gefühl, wir würden nie ankommen. Ich hatte keine Lust mehr zu sitzen, der Rücken tat schon weh, und auf Zug fahren hatte ich auch keine Lust mehr. In Rostock musste ich nochmal in die S-Bahn umsteigen. Als ich den S-Bahnsteig aufsuchte, sah ich den Typen aus dem Regionalzug im Wahnsinnstempo zum Ausgang rennen. Bei seinem Glück hat er bestimmt noch seinen Bus verpasst …

An der S-Bahnhaltestelle ließ ich mich vom Lebensabschnittsgefährten abholen. Ich hatte keinen Bock mehr, mit dem Bus zu fahren oder den schweren Rucksack durch den Regen zu schleppen. 14 Stunden unterwegs sind dann auch mal genug.