Lost in Elverum
Wir hatten ganz bewusst den Bus gewählt. Mit dem Zug wäre es zwar etwas schneller gegangen, aber wir wollten mal ein anderes Verkehrsmittel wählen.
Im Bahnhof tat sich ein kleines Problem auf: Ich musste zur Toilette. Blöderweise sind die hier aber kostenpflichtig und bezahlen kann man nur mit Kreditkarte, meine normale Bankkarte funktionierte hier nicht. Der Lebensabschnittsgefährte zahlt für Auslandseinsätze eine Gebühr, was den notwendigen Toilettengang in meinen Augen unverhältnismäßig teuer machen würde. Das wollte ich nicht. Lieber lief ich noch einmal in die Fußgängerzone zurück in das dortige Einkaufszentrum und ging dort zur Toilette. Kostenpflichtige Toiletten sind in Norwegen übrigens eher ungewöhnlich und die Ausnahme. Wie dem auch sei, als wir vom Toilettengang zurückkamen, knipsten wir gleich noch die Kohlgewächse, mit denen man den Vorplatz vom Bahnhof dekoriert hatte.
Wir holten unsere Koffer aus dem Schließfach und gingen zum Busbahnhof. Wir hatten Glück, der Busfahrer sah uns kommen und wartete, bis wir eingestiegen waren und unser Ticket gekauft hatten. Der Bus fuhr los und stand kurz darauf im Stau. Den ganzen Tag fand ich es noch so wahnsinnig angenehm, dass so wenig Autoverkehr war und überhaupt so wenig Leute unterwegs waren. Die gehen ja schließlich alle arbeiten. Und nun, als wir in diesem Bus saßen, fuhren die alle nach Hause.
Wir kamen an der Polizeistation vorbei und mussten schmunzeln über den Drachen, den die Polizei auf ihrem Dach steigen ließ.
Der Stau löste sich zwar relativ schnell, aber es dauerte noch eine Weile, bis fast gar nichts mehr auf den Straßen los war und der Bus zügig durchfahren konnte. Ansonsten war die kurze Strecke von Hamar nach Elverum (knapp 30 km) eher unspannend und ziemlich industriell.
An der Haltestelle Elverum Torv stiegen wir aus. Von dort mussten wir laut meinen Notizen mit dem Bus B1 Richtung Søbakken fahren. Der kam mit ein paar Minuten Verspätung und wir stiegen ein. Ich freute mich darauf, endlich „zuhause“ zu sein, die Füße hochzulegen, einen Kaffee zu trinken und unsere Neuerwerbung Letra-Mix auszuprobieren. Ich war müde, hungrig und ich hatte eigentlich von diesem Tag genug.
Irgendwann kam mir die Gegend irgendwie komisch vor, durch die wir fuhren. Da standen nur einzelne Häuser herum, kaum Infrastruktur und nichts sah aus wie die Dinge, die ich zuvor auf der Online-Karte gesehen hatte, die in der Nähe unserer Übernachtungsmöglichkeit sein sollten. Auch von dem Fluss, der in unmittelbarer Nachbarschaft liegen sollte, war weit und breit nichts zu sehen. Ich schaute auf der Karten-App meines Handys, wo wir denn seien, und mich traf der Hauptschlag. Statt in den Süden von Elverum zu fahren, waren wir ganz oben im Norden, ungefähr 6 km von unserer Unterkunft entfernt. Ich war sofort auf 180 und ich musste raus aus diesem Bus.
Gesagt, getan. Wir standen mitten in der Pampa, weit weg von Kaffee und warm und Toilette. Meine Füße schmerzten, mir war kalt. Dem Herrn Lebensabschnittsgefährten gab ich zu verstehen, dass es besser wäre, wenn er jetzt einfach mal für fünf Minuten den Mund halten und mich in Ruhe lassen würde, während ich durch die Kälte eher planlos einem unbekannten Ziel entgegen stapfte. Wütend, bockig, frustriert und ausgesprochen schlecht gelaunt.
Irgendwann kamen wir an eine stark befahrene Straße mit einer Bushaltestelle, die dem Aussehen nach höchstens eine Woche alt sein konnte. Aber immerhin hing ein Fahrplan im Wartehäuschen. Der nächste Bus sollte in 15 Minuten kommen und uns binnen weiterer 15 Minuten zu unserer Unterkunft bringen. Da war ich ja mal gespannt. Und außerdem hoffte ich inständig, dass es nicht ausgerechnet der Bus war, aus dem ich vorhin wütend rausgesprungen bin. Wäre ja zu peinlich, wenn wir jetzt am selben Fahrer noch einmal vorbei müssten. Aber wenigstens in der Hinsicht hatte ich Glück, der Bus, der mit zwei Minuten Verspätung kam, wurde von einem anderen Fahrer gefahren. Der ließ uns freundlicherweise auch mit unseren Tickets weiterfahren. Strenggenommen hätten wir nämlich neue kaufen müssen. Und tatsächlich waren wir nach weiteren 15 Minuten fast am Ziel.
Von der Bushaltestelle zur Unterkunft mussten wir noch ein paar Minuten laufen. Unsere Unterkunft war übrigens ein Campingplatz. Viele norwegischen Campingplätze verfügen über Hütten, die sie das ganze Jahr über vermieten und die auch beheizt sind. Und eine solche Hütte hatten wir gebucht. Der Campingplatz lag direkt am Fluss und in der Nähe des norwegischen Waldmuseums, in das wir am nächsten Tag gehen wollten.
An der Rezeption setzten wir natürlich wieder unsere Norwegisch-Kenntnisse ein, wie auch schon mittags beim Essen. Und überhaupt sprachen wir überall, wo wir mit Einheimischen in Kontakt kamen, erst einmal Norwegisch, bis wir mit unserem Norwegisch am Ende waren und uns mit Englisch behelfen mussten. Der Rezeptionist hier war total begeistert. Er weigerte sich die meiste Zeit, Englisch zu reden, wiederholte lieber die norwegischen Sätze und sprach langsam, damit wir ihn verstehen konnten. Außerdem brachte er seine paar Brocken Deutsch in Spiel, die er im Laufe der Zeit von den Touristen übernommen hatte und selbst als „Campingplatz-Deutsch“ bezeichnete.
Ausgestattet mit Bettwäsche und Handtüchern machten wir uns auf den Weg zu unserer Hütte. Diese lag tatsächlich fast direkt am Wasser. Sie war innen recht gemütlich und verfügte sogar über eine kleine Koch-Ecke. Lediglich Wasser gab es nicht, dazu mussten wir ins Sanitärgebäude gehen, das aber nicht allzu weit weg war. Dort gab es auch noch eine besser ausgestattete Küche.
Nachdem wir die Betten bezogenen hatten, spielten wir ein paar Runden Letra-Mix. Dann gab es Abendbrot. Wir hatten auch eine Salami-Tüte und Mandarinen gekauft. Das mit der Salami war ganz witzig. Ich konnte mich erst nicht recht entscheiden, welche Salami wir nehmen sollten, dann entdeckte ich die Beutel mit Resten. Ich finde die Idee gar nicht schlecht und deswegen kauften wir einen Tüte davon. Natürlich war die auch günstiger, als die abgepackte Ware in den Regalen. Allerdings muss man das in der Relation sehen. Selbst dieser für norwegische Verhältnisse günstige Beutel Salami ist immer noch teurer als die abgepackte Ware bei uns im Supermarkt. Sie schmeckt aber auch besser.
Nach dem Abendbrot machten wir uns fertig fürs Bett. Für diesen Tag reichte es mal wieder. Laut Schrittzähler sind wir 13,6 oder 19 Kilometer gelaufen – je nachdem, ob man meinem oder dem vom Lebensabschnittsgefährten glauben will.