Von Südhessen an die Ostsee

Urlaub ist zu einer komplizierten Angelegenheit geworden, weil wir immer jemanden für die Katze brauchen. Und so müssen drei Urlaubsanträge aufeinander abgestimmt werden, die Anreise für die Katzen-Sitter muss organisiert werden, die eigene Reise fällt dadurch eher kurz aus, muss geplant und gebucht werden. Dieses Jahr haben wir uns für Rügen entschieden. Dort buchten wir eine Ferienwohnung und die Anreise sollte per Bahn via Berlin erfolgen. Soweit der Plan.

Fast wäre unser Urlaub im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen. Im Betrieb des Katzen-Sitters gab es Unstimmigkeiten und die Urlaubsplanung stand auf der Kippe. Erst am 11. Juli, also nicht einmal einen Monat vor Reiseantritt stand dann auch wirklich fest, dass wir einen Katzen-Sitter haben. Leider ist unser Katerchen ziemlich unflexibel, so dass einpacken und mitnehmen keine Option war.

Außerdem setzte im Juni der Regen ein und das Hochwasser kam. Was sich hier so banal schreibt, hatte nicht nur enorme Auswirkungen, die sich heute noch überdeutlich zeigen, auf die Menschen in den betroffenen Gebieten, sondern auch auf den Bahnverkehr in Deutschland: Am 19.07.2013 erhielt ich eine E-Mail von der Bahn AG, in der man mitteilte, dass für Strecken nach und über Berlin noch bis Ende des Jahres ein Übergangsfahrplan gültig sei.

Wichtige Information zur Hochwassersituation

Frau Bundeskanzler ist übrigens mehrmals höchstpersönlich in die betroffenen Gebiete gereist und hat sich über die Lage dort informiert:

Was in den Köpfen von nicht Betroffenen längst wieder verblasst war, beeinträchtige das Leben vieler Menschen immer noch ziemlich stark - und nun auch unseres. Unsere gebuchte Reiseverbindung gab es nicht mehr, wir brauchten eine Alternative. So machten wir uns auf den Weg ins Reisezentrum, um dort zu erfahren, wie wir an den Urlaubsort gelangen könnten. Die Dame war sehr freundlich, druckte uns eine Alternativ-Verbindung aus und hob die Zugbindung auf. Unsere Reise sollte nun durchs schöne Hamburg führen.

Zugbindung aufgehoben

Die zweite Vorurlaubshürde war somit ebenfalls genommen. Aber die nächste ließ nicht lange auf sich warten: Auf dem Weg zur Fortbildung war unser Koffer kaputt gegangen. Wir mussten also entweder den alten reparieren lassen oder einen neuen kaufen. Wir entschieden uns für beides. Der Urlaub wurde im Vorfeld schon teuer. Doch endlich konnte ich meinen letzten Arbeitstag zelebrieren, noch eine Woche lang unsere Wohnung und mein Home Office auf Vordermann bringen, bevor dann endlich der Katzen-Sitter anreiste. Fast wäre dies noch schief gegangen, hätte ich nicht eine Stunde vor Abfahrt bei der jungen Dame angerufen, um mich nach dem Befinden zu erkundigen. Entgegen sonstiger Gewohnheiten, wo ich stets via Chat über den aktuellen Stand des Reisefiebers informiert wurde, war es verdächtig still.

Tuut, tuut … verschlafen: “Ja?” “Hi!” … Ich wartete auf die Wirkung, die auch kurz darauf einsetze: “Ach du Scheiße! Wie spät ist es? Wann fährt mein Zug?” Die Dame war wach. Und fast hätten wir sie abends auch pünktlich am Bahnhof abgeholt, wenn der Lebensabschnittsgefährte uns nicht zur falschen Car-Sharing-Station gelotst hätte.

Aber das waren jetzt wirklich genug Vorurlaubshürden, ab da ging es entspannter zu.

Nach einer viel zu kurzen Nacht wurde ich bereits um kurz vor Sechs wieder wach. Der Wind pfiff durch das Katzenschutzgitter ins Schlafzimmer. Von der Katze, die sonst beim ersten Augenlidzucken halb verhungerte losbrüllte, war Dank des Windes weit und breit nichts zu sehen. Herrlich, so ruhig hat schon lange kein Tag mehr begonnen! Erst als der Lebensabschnittsgefährte wach wurde und Katerchen Stimmen aus dem Schlafzimmer vernahm, kam er miauend angetrabt. Der Tag, ach, was sag’ ich, der Urlaub konnte beginnen!

Schon am Bahnhof in Darmstadt war es ziemlich voll. Und da fast alle auf dem Bahnsteig Herumstehenden Koffer mit sich führten, war davon auszugehen, dass sie nicht zum Shopping nach Frankfurt wollten. Daher war es wenig überraschend, dass es am Gleis 8 in Frankfurt noch voller war. Im Zug saßen auch schon etliche Fahrgäste und von beiden Seiten schwappten weitere Reisende in den Waggon, so dass kein Weiterkommen war. Kurz entschlossen setzte ich mich auf einen freien Platz neben einer Frau, die ein Kind auf dem Schoß hatte. Die fauchte mich auch prompt an, dass dieser Platz reserviert sei. Ich wies sie unnötigerweise noch einmal darauf hin, dass der ganze Gang voller Menschen steht und sie es ja wohl verkraften könne, den Platz freizugeben, so lange er nicht genutzt würde. Wenn Junior dort zu sitzen wünschte, würde ich schon aufstehen. Es passte der “Dame” zwar trotzdem nicht, aber sie gab sich geschlagen. Kurz darauf machte ihr Ehemann einer älteren Dame Platz und begehrte dann den von mir okkupierten Sitz. Das sah ich ein. Der Mann war auch verständnisvoller, als er hörte, dass wir gar nicht in diesem Zug gebucht hatten und hier nur hilfsweise untergekommen waren, während seine Frau lieber verkniffen aus dem Fenster starrte. Wenn nur alle etwas weniger verkrampft unterwegs wären, wären solche Situationen auch weniger anstrengend.

Spielen im Zug

Wir hatten uns bereits damit abgefunden, bis Hamburg stehend fahren zu müssen und spielten eine Runde Carcassonne auf dem Tablet, als die Zugbegleiterin zur Fahrkartenkontrolle kam. Es stellte sich heraus, dass ein Großteil der Mitreisenden ursprünglich für einen IC gebucht waren, der nun ausfiel. Sowohl uns, die wir mit unserem ICE-Ticket und unserem Reisegepäck mitten im Gang rumstanden, als auch einer Mutter mit zwei Kindern, die auf Plätzen saßen, die für eine Reisegruppe reserviert waren, bot sie an, in die erste Klasse umzuziehen. Alle anderen, die “nur” ein IC-Ticket hatten, wurden vertröstet. Das war zwar ein wenig elitär, aber das kümmerte mich in diesem Moment herzlich wenig. Zum Verdruss der verkrampften Mutter mit dem netten Ehemann zogen der Lebensabschnittsgefährte und ich von dannen Richtung 1. Klasse.

Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Kassel-Wilhelmshöhe. […] Wir bitten für die Überfüllung um Entschuldigung.

In der 1. Klasse wurde nicht nur Kaffee am Platz serviert, man spendierte außerdem allen Reisenden Gummibärchen. Der Telekom-HotSpot funktionierte heute sogar auch. Allerdings waren meine Zugangsdaten wegen langer Inaktivität gelöscht. Ich musste erst eine SMS zur Freischaltung an die Telekom schicken und nach vier oder fünf Fehlversuchen war ich endlich online. Nach einer halben Stunde war es mir endlich gelungen, einen Tweet abzusenden, mich meinem Kaffee und meiner Lektüre zu widmen und den ersten Teil der Reise zu genießen.

Großmarkt

Das Mittagessen war für den 50-minütigen Aufenthalt in Hamburg geplant. Der Hamburger Hauptbahnhof ist groß und warm und voller Menschen.

Wenn man aus der gediegenen Atmosphäre des 1.-Klasse-Wagens des ICE kommt, erschlägt einen das tobende Leben beinahe. Wir kämpften uns durch bis zum Subway, wir hatten Lust auf Sandwiches. Dort war es allerdings zu voll, um die Mahlzeit im Sitzen einnehmen zu können, so beschlossen wir, uns irgendwo ein Plätzchen zu suchen, wo wir uns niederlassen und in Ruhe unser Mittagessen genießen konnten. Dies gestaltete sich schwieriger als gedacht. Zum einen ist es nicht so einfach, sich mit Gepäck in der einen und Futter in der anderen Hand durch die Menschenmassen zu kämpfen, zum anderen sind Sitzgelegenheiten im Hamburger Hauptbahnhof eher selten. So versuchten wir unser Glück außerhalb des Bahnhofsgebäudes, wo wir überrascht auf dies stießen:

CSD in Hamburg

Schlussendlich fanden wir einen Platz auf einer Bank vor McDonald’s in der oberen Etage der Wandelhalle. Von dort hatten wir auch direkten Blick auf Gleis 8, aus dem unser Zug nach Rügen fuhr. Bereits 20 Minuten vor Abfahrt fuhr er ein und da wir unsere Sandwiches erfolgreich vernichtet hatten, machten wir uns auch auf den Weg in den Zug, um diesmal wenigstens einen Sitzplatz zu ergattern.

Zugzielanzeiger

Ganz so viel Hektik war allerdings nicht notwendig, der Zug war zwar gut besetzt, aber nicht voll. Und auf unserem Weg stiegen auch kaum Leute ein, dafür aber in Rostock und in Stralsund umso mehr aus.

Der Fahrstil des Lokführers war etwas eigenwillig. Nach der dritten ziemlich starken Bremsung mit Halt kurz vor einem Bahnhof, bat der Zugführer für die “elektronische Störung im Triebfahrzeug” um Entschuldigung, bevor der Zug bis an den Bahnsteig rollte.

Volkswerft Stralsund

Frau B., bitte steigen sie in Stralsund aus, Sie werden abgeholt.

Diese Ansage, die ertönte, als der Zug im Bahnhof von Stralsund stand, hatte etwas Bedrohliches, blieb aber glücklicherweise ein Einzelfall. Danach ging es endlich übers Meer! Wenn auch erstmal nur in Form des Strelasunds.

Pünktlich um 17:22 Uhr kamen wir im Ostseebad Binz an.

Ostseebad Binz

Von dort sollte es mit einem Taxi weiter nach Sellin gehen. So ganz scheint man hier auf die Ankunft von Urlaubern allerdings nicht vorbereitet zu sein, denn der einzige Taxifahrer, den wir in unseren ersten 20 Minuten auf Rügenschem Boden zweimal zu sehen bekamen, erklärte uns, dass er nicht mehr nach Sellin fahren könne, weil er dies zeitlich nicht mehr schaffe. Dafür sammelte er jedes Mal mehrere Leute ein und brachte sie nach irgendwo. Die Bus-Route, die uns im Vorfeld von dem ortsansässigen Busunternehmen vorgeschlagen wurde, war vollkommen indiskutabel.

Bus-Route

Für ortsfremde habe ich mal eine .gpx-Datei erstellt:

Das war nicht wirklich eine Option. Andererseits stand auf dem Haltestellenaushang, dass etwa 15 Minuten später ein Bus direkt bis Sellin durchfahren sollte. Wir waren etwas ratlos und beschlossen, das Verkehrsmittel zu nehmen, das zuerst eintraf.

Mit uns warteten zwei Frauen, die bereits im Zug im selben Großraumwagen saßen wie wir, der Sprache nach die eine aus Bayern, die andere aus Hessen; sie wollten ebenfalls nach Sellin. Dann war da noch eine einzelne Frau, die ebenfalls nach Sellin wollte. Des Weiteren stand da eine Mutter mit ihrem Sohn; auch sie wollten nach Sellin. Außerdem stand am Taxischild ein älteres Ehepaar, das aber nur innerhalb von Binz nach Hause gebracht werden wollte. Das Taxi kam zuerst und wir hatten (fast alle) Glück: Sieben Personen fanden darin Platz, lediglich das Ehepaar aus Binz mussten wir zurücklassen. Während der Fahrt stellte sich heraus, dass nicht nur die bereits bekannten Damen aus dem Zug aus Südhessen kamen, sondern auch die allein reisende Frau eine Frankfurterin war und das Mutter-Kind-Gespann ebenfalls gebürtige Frankfurter waren, die aber in Darmstadt wohnten. Da reist man an einen der nördlichsten Zipfel von Deutschland und ist doch wieder umgeben von Hessen! Hilfe, die sind überall!

Zimmer

In unserem Feriendomizil angekommen, waren wir angenehm überrascht. Unten im Haus ist eine kleine Rezeption, wo wir sehr freundlich empfangen wurden, als wir eincheckten. Einen Brötchen-Service, der uns morgens die Brötchen an die Tür liefert, Kurkarte, Internet, Stadtplan Sellin, alles Mögliche gab es dort. Dann inspizierten wir unser Zimmer. Klein und bescheiden, aber gemütlich und mit allem ausgestattet, was wir in dieser Woche benötigen würden. Wir waren zufrieden, der Urlaub konnte endlich beginnen, indem wir uns Kaffee, Orangensaft, Nutella und Marmelade für den nächsten Tag besorgten. Da wir den Stadtplan sinnigerweise in der Wohnung gelassen hatten, mussten wir auf eigene Faust bzw. mit Google-Maps den Supermarkt finden, was uns nach ein bisschen sinnlosem Rumlaufen und ein paar Diskussionen auch endlich gelungen war.

Jetzt konnte der Urlaub aber wirklich beginnen!

Seebrücke Sellin

Natürlich musste ich unbedingt noch ans Meer! Wir wanderten von der Seebrücke bis zum Südstrand am Strand endlang und bekamen dabei einen tollen Sonnenuntergang zu sehen. Kitsch as Kitsch can!

Unterwegs (so ziemlich an der einsamsten Stelle da unten) kam dann noch ein bisschen Blair-Witch-Feeling auf. Irgendjemand hatte dort Steine zusammengetragen und aufeinander gestellt. Leider habe ich nicht herausfinden können, wer das war und warum. Leider haben wir auch vergessen, noch einmal dorthin zurück zu kehren, um bessere Photos zu machen.