Tag 9: Von Lettland nach Estland
Das Wetter am Morgen ist gar nicht mal so schlecht, die Sonne scheint. Wir öffnen die Vorhänge und lassen Licht in den Camper, hier oben ist ja sowieso keiner außer uns. Frühstücken und bloggen gehören mittlerweile zur Morgenroutine.
Unsere Tagesetappe soll uns heute durch den Osten Lettlands bis nach Estland bringen. Nachdem ich meinen Blogbeitrag von gestern fertig gestellt habe, machen wir uns und den Camper fertig zur Abreise.
Beim Einpacken meiner Pac-Man-Geist-Lampe (mit Farbwechsel!) stellt der Herr Lebensabschnittsgefährte fest, dass das Kabel kaputt ist. Dabei war das gute Stück doch erst 12 Jahre alt, es stammt nämlich noch von meinem ersten Smartphone, dem Sony Ericsson Xperia arc. Ich trauere ein wenig, als das gute Stück im mannheimer Müllcontainer auf dem Parkplatz unterhalb des höchsten Gipfels von Lettland verschwindet.
Unplugged machen wir uns also auf den Weg. Ich gehe ein kleines Stück zu Fuß vor und knipse dabei die Rutsch-Spur des Familienvaters von gestern.
Außerdem werfe ich noch einmal einen photographischen Blick zurück auf den Parkplatz. Theoretisch führt die Straße ja am Parkplatz vorbei, man kann quasi einen Bogen fahren. Praktisch wurde aber nur bis zum Dixi-Klo am Ende des Parkplatzes geräumt und der Rest war unter Schnee versunken. Also fahren wir ein Stück zurück.
In gemütlichem Tempo fahren wir in Richtung Estland. Wir haben es nicht eilig, wir sind schließlich im Urlaub. Die Straßen erlauben schnelles Fahren sowieso nicht und ich kann außerdem besser knipsen, wenn wir langsam unterwegs sind.
Nach einer Weile fahren wir in einen größeren Ort. Dort gibt es auch frisch renovierte/sanierte Plattenbauten, die gleich ganz anders aussehen. Überhaupt fällt uns auf, dass der Unterschied zwischen Land und Stadt teilweise ziemlich krass wirkt. Auf dem Land scheint bisweilen die zeit stehengeblieben zu sein, während es in der Stadt dann sehr modern aussieht.
Wir müssen heute auch noch einkaufen. Wir brauchen Wasser, Milch, was zum Knabbern und Kaffee. Am Straßenrand taucht plötzlich ein Gebäude auf, in dem wir vermutlich alles bekommen werden.
Es gibt keinen richtigen Parkplatz, vor dem Geschäft hielt gerade noch ein anderes Fahrzeug, wir stehen ein paar Meter weiter am Straßenrand - was hier so üblich zu sein scheint.
Gegenüber ist eine Bushaltestelle, die - wie so viele hier - aus einem Schild und einer Bank besteht. Auf der Bank sitzen drei Personen: zwei Frauen und ein kleines Mädchen. Und die starren uns an, als wären wir mit einem Ufo gelandet. Wir schließen das Auto ab und vor Betreten des Ladens ziehen wir unsere FFP2-Masken auf, was den Alien-Eindruck vermutlich komplettiert.
Die Verkäuferin im Inneren guckt auch etwas irritiert, fertigt dann aber den Kunden vor uns ab, der mit seinem Auto vor dem Laden parkt.
Das Geschäft ist winzig klein, kleiner als unser Wohnzimmer. Man läuft auf eine kleine Theke in L-Form zu, hinter der die Verkäuferin steht. Frei zugänglich im Laden sind nur ein paar Kühlschränke mit alkoholfreien Getränken und abgepacktes Gebäck. Die Verkäuferin gibt die Ware raus, was nicht so einfach ist, wenn man keine gemeinsame Sprache hat. Aber auch hier kommen wir gut mit Zeigen und drauf deuten zurecht.
Beim Wasser wird es etwas schwieriger, wir wollen einen 5-Liter-Kanister, in den Kühlschränken stehen aber nur Flaschen. Der Herr Lebensabschnittsgefährte bemüht die Übersetzungs-App, er brabbelt da einen Satz rein und das Smartphone spricht Lettisch, ich zeige gleichzeitig ein Photo auf meinem Smartphone. Dann bekommen wir das Gewünschte, was ebenfalls hinter der Theke aufbewahrt wird.
Für andere Waren kommt die Verkäuferin auch herum, damit ich ihr zeigen kann, was ich möchte. Die Milch ist mit dem polnischen Wort Mleko beschriftet, was ich lesen und sie verstehen kann, so bekomme ich auch die aus der Kühltheke ohne Probleme.
Und auch hier: Bezahlen mit Karte ist kein Problem - Im Gegensatz zum Bioladen bei uns zuhause, wo wir locker mal das drei- bis vierfache an Geld dalassen müssen und dies nicht mit Karte zahlen können.
Auf dem Rückweg zum Auto, beim Knipsen des Geschäfts und erst Recht als ich hinten ins Hardtop klettere, um unsere Einkäufe zu verstauen, stehen wir unter Beobachtung von sechs Augen (mindestens). Ich vermute mal, hier kommen nicht so oft Touristen vorbei.
Ich bin natürlich nicht so unverschämt und knipse die Leute einfach. Sie sollen ja auch nicht zu erkennen sein. Aber ich fand sie auf eine nette Art so witzig, dass ich ein Bild im Außenspiegel vom Auto gemacht habe.
Wir fahren weiter. Der Mann fährt, ich knipse.
Ein aufgehäufter und teilweise wieder abgetragener Berg tut sich am Straßenrand auf.
Am Horizont steigt Rauch auf.
Am Verursacher fahren wir bald vorbei: Eine Fabrik, in der irgendwas mit Holz gemacht wird.
Unmengen von Holzstämmen liegen dort herum. Das kann sich jeder bei Google-Maps selbst ansehen. Streetview steht zur Verfügung. Dort befindet sich LatGran, eine Firma, die Unmengen von Pellets herstellt, wofür die umliegenden Wälder niedergemäht werden, was uns als umweltfreundlich und vor allem CO2-neutral verkauft wird. Ist es natürlich beides nicht.
Während Litauens Wälder durch ihren Baumbestand beeindruckt haben, beeindrucken Lettlands Wälder durch ihre vielen Kahlschlagflächen. Ob das allgemeingültig ist oder eher an den Straßen, die wir genommen haben, liegt, können wir natürlich nicht beurteilen. Aber auffallend ist es.
Wir fahren durch den nächsten Ort und dort durch eine Baustelle. Der Boden war zu uneben, ich kann die Straße nicht knipsen. In Deutschland bekämen die Autofahrer Schnappatmung, wenn ihnen dies als Straße in der Stadt präsentiert würde. Die Autos werden dreckig und tiefergelegt dürfen sie hier auch nicht sein.
Das Wetter ist chic.
Die Zebrastreifen sehen hier interessant aus. Lustig ist das an einem Kreisverkehr, wenn jede Straße auch einen Zebrastreifen hat. Dann steht der ganze Kreisverkehr voller schwarz-weiß gestreifter Masten.
Es geht weiter an unzähligen Feldern, Häusern, Höfen und Wäldern vorbei.
Wir kommen an einen Bahnübergang, wieder mit Stoppschild. Und zum ersten Mal auf unserer Tour kommt an einem dieser Bahnübergänge auch tatsächlich ein Zug.
Der Zug ist so ziemlich das hübscheste Nahverkehrsmittel, was ich kenne. Mit etwa 20 bis 25 km/h fährt die Diesellok mit ihrem Personenwagen an uns vorbei. Ich finde diesen kleinen Zug hübsch.
Als nächstes fahren wir durch Marienburg, wie Alūksne auf Deutsch heißt.
Ein Gebäude in der Stadt wirft Fragen auf:
Es gibt hier ein Hotel mit deutschem Namen. Und ich finde, dass es auch ziemlich deutsch aussieht.
Die letzten Straßen, die wir durch Lettland fahren, sind wieder ausgesprochen hübsch. Dann kommen wir an die Grenze zu Estland.
Das ist die unscheinbarste Grenze, die wir bisher passiert haben. Hier gibt es nicht einmal das Europa-Grenzschild der Republik Estland.
Aber hübsche Straßen gibt es hier auch.
Unser Ziel ist die höchste Erhebung Estlands, die liegt nämlich auf dem Weg und nicht weit entfernt von der lettischen Grenze.
Auf der Erhebung steht ein Turm, den wir jetzt immerhin schon zwischen den Bäumen sehen können. Und kurz darauf sind wir auch da.
Direkt gegenüber vom Aufstieg ist ein Parkplatz. Und der Aufstieg ist auch geräumt - so dachten wir. Zumindest der erste Teil mit den Stufen war es auch.
Der obere Teil war nicht mehr geräumt und teilweise etwas glatt. Am oberen Ende der Treppe steht die kleine Hütte. Vermutlich werden dort Souvenirs verkauft.
Leider waren wir 45 Minuten zu spät oder zwei Wochen zu früh, wie man will, der Turm hatte schon geschlossen.
Von hier aus sind es weitere 8.530 Meter schwieriger Aufstieg bis zum Gipfel des Mount Everest …
Steht laut Google-Übersetzer auf dem Stein. Und weiter:
Als erster Ester bestieg Alar Sikk am 22. Mai 2003 den Mount Everest, den höchsten Berg der Welt und hisste die Staatsfahne Estlands auf 8848 Metern Höhe.
Wir machen uns an den Abstieg, halten nun aber doch noch einmal an der Hütte, um ein paar Photos zu knipsen.
Und dann geht’s die Treppe hinunter.
So weit vom spannenden Auf- und Abstieg auf und vom Suur Munamägi, dem höchsten Berg Estlands, der immerhin mit 318 Metern auch der höchste des Baltikums ist. Damit wären wir mit dem Hochgebirge des Baltikums durch.
Hier die Bilder vom Lebensabschnittsgefährten:
Wir werden uns nun langsam der See zuwenden.
Wir suchen uns einen Schlafplatz für die Nacht und finden diesen wieder einmal an einem See.
Diese Plätze sind im Winter meist ziemlich einsam. Ab und zu mal ein Spaziergänger mit oder ohne Hund. Heute kommen zwei Hunde ohne Menschen vorbei. Zunächst wieder einer mit kurzen, krummen Beinen, der von links am rechts am Camper vorbeiläuft und sich fast zu Tode erschreckt, als ich ihm “Hallo!” zurufe. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass in dem Auto jemand ist.
Kurz darauf kommt ein größerer Hund von rechts nach links am Auto vorbei gelaufen. Der ist allerdings etwas abgeklärter und lässt sich von meinem Gruß nicht erschüttern.
Der Blick aus der Heckklappe ist ganz fein. Und das Wetter auch. So beschließt der Herr Lebensabschnittsgefährte, noch eine Runde zu fliegen.
Währenddessen verstaue ich unsere Einkäufe von heute Mittag.
Ich will den Akku meiner Kamera aufladen. Aber die LED am Ladegerät rührt sich nicht. Und das Smartphone vom Mann bekommt nun auch keinen Strom mehr. Erst habe ich Sorge, dass unser Spannungswandler mit 220-Volt- und USB-Mehrfachsteckdose, den wir für solche Zwecke haben, kaputt gegangen ist. Aber die 220-Volt-Steckdose funktioniert noch. Nach zwei bis drei Versuchen kommt mir das Ladegerät ein wenig warm vor und ich rieche daran. Das riecht nicht gut, das Teil ist hin.
Nun muss ich die Akkus wieder in der Kamera laden, was ziemlich lange dauert und ziemlich nervig ist, aber besser als nichts.
So langsam frage ich mich, was auf dieser Tour noch alles kaputt geht.
Die Frage wird recht bald beantwortet: Die SIM-Karte aus dem Zweithandy des Herrn Lebensabschnittsgefährten. Nachdem er die volle SD-Karte gegen eine leere getauscht hatte, funktionierte die SIM-Karte nicht mehr. Aber da der Mann Redundanz mit zweitem Vornamen heißt, haben wir natürlich noch eine SIM dabei.
Während ich mit dem Blogbeitrag anfange, guckt der Herr Lebensabschnittsgefährte seine Serie weiter. Zum Abendbrot gibt’s Chips, zu mehr haben wir keine Lust. Die Chips sind mit Tomatengeschmack, schmecken ein wenig wie Ketchup, sind nicht so scharf wie Paprika-Chips und sehr lecker.
Zum Schluss wie immer die Statistik, der Kartenausschnitt und ein paar warme Worte zu Bewegtbildern.
188 Kilometer sind wir an diesem Tag gefahren.
Auf der Karte sieht das so aus:
Bewegtbilder gibt es diesmal (noch) nicht, wir werden Reisevideos erstellen und bei YouTube hochladen, wenn wir wieder zuhause sind. Der Link wird dann hier eingefügt und in Social-Media-Kanälen veröffentlich.