Tag 11: Silvester am Nordkap

Das war eine harte Nacht. Der Wind rüttelte unablässig am Camper. Es fühlte sich an, wie in einem Schlafwagen der Eisenbahn. Dementsprechend war ich müde, als der Wecker am Morgen klingelte. Die App von Statens vegvesen zeigte an, dass die Straße zum Nordkap noch gesperrt sei, nächstes Update würde um acht Uhr erfolgen.

Screenshot App: Straße zum Nordkap gesperrt

Nach acht Uhr sah es nicht gut aus: Weiterhin gesperrt, voraussichtlich bis 16 Uhr. Damit war eigentlich klar, dass an diesem Tag nichts daraus werden würde, noch bei Tageslicht ans Nordkap zu fahren. Wir fanden uns damit ab. Ob wir die Abend-Kolonne nehmen würden, wenn es möglich sei, wollten wir später überlegen, wenn klar war, ob es überhaupt möglich wäre. Vorerst fanden wir uns damit ab, nicht ans Nordkap zu fahren. Und auf Stadtbummel hatten wir bei dem kalten Wind auch keine Lust. Wir freuten uns auf einen ruhigen Tag im Camper.

Gegen 10:30 Uhr tutete draußen ein Schiff. Die Hurtigrute! Die MS Nordkapp legte in Honningsvåg an. Das veranlasste mich dann doch, mir die warmen Klamotten überzuziehen und den Camper zu verlassen, um ein Photo vom Schiff zu knipsen.

MS Nordkapp

Und weil ich schon dabei war, knipste ich auch noch das Molenfeuer.

Molenfeuer

Dann zückte ich noch das Smartphone und knipste Bert auf seinem Stellplatz.

Bert auf dem Stellplatz

Der Wind, der auch am Morgen hier noch kräftig pustete, war ziemlich kalt. Ich kletterte in den Camper zurück. Dabei fiel mir auf, dass zwei Busse mit kurzem Abstand an uns vorbeifuhren. Einer Intuition folgend griff ich zum Smartphone und schaute in die Verkehrs-App. Und tatsächlich: Die Straße zum Nordkap war freigegeben! Die Kolonnen fuhren um 11 und um 12 Uhr. Es war 10:54 Uhr.

Im Camper brach Hektik aus. Wir wollten ja nochmal streamen, das musste vorbereitet werden. Und ich war auch noch nicht fertig angezogen. Und jede Menge Zeug musste noch verstaut werden, bevor wir abfuhren. Zwar war der Weg zur Skarsvåg-Kreuzung nicht weit, aber bei den Straßenverhältnissen brauchte man da durchaus ein Weilchen.

Los geht’s!

Gegen 11:30 Uhr waren wir endlich unterwegs. Und wie man auf dem Photo oben sehen kann, war die Straße ziemlich vereist.

Um kurz vor 12 Uhr waren wir an der Skarsvåg-Kreuzung. Allerdings waren der Schneepflug und das Schlussfahrzeug noch gar nicht da.

Schneepflug ist da

Als der Schneepflug endlich da war, ging der Fahrer die Reihe ab. Das erste Fahrzeug vorne musste noch Schneeketten anlegen. Bei jedem Fahrzeug stoppte er kurz, schaute sich die Reifen an, sagte irgendetwas zum Fahrer und ging dann weiter bis zum nächsten. Bei uns stellte er nur fest, dass die Reifen gut seien und fragte, ob wir Allrad hätten. Schneeketten benötigten wir nicht, worüber wir ganz froh waren, wir hatten nämlich völlig vergessen, die Teile mal testweise drüber zu ziehen.

Auf dem Rückweg zu seinem Schnepflug erklärte er jedem Fahrer noch, dass der Bus, der ganz hinten wartete, Vorfahrt hätte - wie alle anderen Busse auch. Die Reisebusse hatten Vorrang.

Die Fahrt nach oben verlief ganz entspannt, das Tempo war sehr ruhig. Hinter uns war nur noch das Fahrzeug, das die Schneeketten anlegen musste, das aber irgendwann außer Sichtweite verschwunden war. Wir hatten uns kurz gefragt, ob der vielleicht umkehren musste. Aber als wir endlich am Nordkap angekommen waren, war der auch schon wieder in Vergessenheit geraten. Wir wissen nicht, ob der jemals oben angekommen ist.

Eintritt für die Halle hatten wir diesmal nicht bezahlt. Dort waren wir letzten Sommer drin und einmal war wirklich ausreichend.

Am Nordkap war es voll. Wir waren nun zum dritten Mal hier und haben das zum ersten Mal mit vielen Menschen erlebt, das kannten wir nur von Bildern. Silvester 2019 waren hier nur ein paar Autos mit entsprechend wenig Menschen. Im Juni 2021 waren wir hier nahezu alleine. Und jetzt waren mit uns vier große Busse und noch ein kleinerer hinaufgefahren und einige Leute von der 11-Uhr-Kolonne liefen auch noch herum.

Viele Menschen am Nordkap

Glücklicherweise war es saukalt und extrem windig, so dass sich niemand länger als unbedingt erforderlich an der Weltkugel aufhielt. In Karawanen zogen die Menschen weiter in die Nordkap-Halle und dann zu ihren Bussen bzw. Pkw.

Weltkugel am Nordkap

Der Herr Lebensabschnittsgefährte knipste die Photos. Mir war zu kalt und der Wind war zu stark, ich konnte mein Smartphone nicht ruhig genug halten. Die Kamera hatte ich gar nicht erst mitgenommen. Und außerdem schleppten wir ja auch noch die Pocket-Kamera sowie im Rucksack das Tablet und den Router mit, um weiterhin zu streamen.

Wir machten noch ein Selfie:

Selfie

dann gingen wir zurück zum Auto und warteten darauf, dass die Kolonne zurück fahren würde.

Als wir einstiegen, sprach uns ein Mann in abenteuerlichem Deutsch mit starkem Akzent an. Ich glaube, er war Niederländer. Er fragte, ob wir zum Parkplatz am Fjord zurückfahren würden, und erzählte, dass er dort auch übernachtet hätte. Ich hatte morgens mal jemanden “Hallo” rufen hören, konnte aber nichts und niemanden sehen. Nun würde er jedenfalls auch wieder dorthin fahren und wenn wir Gläser dabei hätten - er hätte “Champagner”. Ich vermute, er meinte Sekt, so wie er das Wort ausgesprochen hatte. Wir hatten nun also eine Verabredung für den Silvesterabend.

Screenshot Wetter-App

Die Temperaturen waren gar nicht so fürchterlich, aber der Wind … In Böen blies der Wind mit bis zum 75 km/h, da muss man durchaus aufpassen, dass die Mütze nicht vom Kopf fliegt. Beim ersten Versuch kam ich gar nicht aus dem Auto heraus, weil der Wind von hinten kam und mir die Autotür aus der Hand zu reißen drohte. Die Heckklappe hätte ich so gar nicht öffnen können. Der Herr Lebensabschnittsgefährte drehte das Fahrzeug nochmal um, dann ging’s

Die Kolonne fährt zurück

Nun jedenfalls ging es mit der Kolonne wieder zurück zur Skarsvåg-Kreuzung. Es war glatt und der Wind wehte recht heftig von der Seite.

Schneeverwehungen

Der Wind wehte so heftig von der Seite, dass der Schnee an einer Stelle am rechten Fahrbahnrand mehrere Meter hoch geweht wurde. Auf dem Photo ist das schwer zu erkennen: Der weiße Schleier am rechten Fahrbahnrand ist Schnee und der wird von unten nach oben geweht.

Glatteis

Zwischendurch war es spiegelglatt und manche rutschten langsam und gemächlich um die Kurven.

Dabei bietet das Kolonnekjøring zwei nicht zu verachtende Vorteile: Es gibt keinen Gegenverkehr. Und es ist immer jemand mit der passenden Ausrüstung und dem Know-how da, der dich im Falle eines Falles aus dem Graben ziehen kann.

Aber so weit ließen wir es natürlich nicht kommen. Wir kamen heil und wohlauf wieder auf dem Parkplatz am Fjord an. Dort standen mittlerweile einige Fahrzeuge herum. Und der Niederländer, der uns auf dem Parkplatz am Nordkap angesprochen hatte, war auch schon da.

Blick auf den Fjord

Wir stellten uns auf denselben Platz, auf dem wir vorher auch standen. Ich knipste ein letztes Mal den Blick auf den Fjord, dann krochen wir hinten in den Camper und machten Mittagessen. Es gab Gyrosfleisch (gebraten und gewürzt aus der Kühltheke) mit ein paar Zwiebeln angebraten und dann mexikanischen Reis von Ben’s mit in die Pfanne, nochmal heiß werden lassen und fertig. Diese kulinarische Multikulti-Pfanne schmeckte gar nicht so schlecht.

Den Abend verbrachten wir damit, unser Datenguthaben auf YouTube mit lustigen Videos zu verballern und unsere Serie weiter zu gucken. Etwa gegen 23:40 Uhr nickte ich dann weg - mit fatalen Folgen.

Kurz darauf wieder aufgeweckt, entschieden wir uns kurzfristig um 23:50 Uhr, uns doch noch anzuziehen und rauszugehen. Das Anziehen war Dank Zwiebelpelle durchaus eine zeitaufwändige Angelegenheit. Und die Uhr tickte.

Ein Störfaktor war die Menge an Campern und Wohnmobilen, die hier mittlerweile standen. Insgesamt sechs Fahrzeuge blockierten mittlerweile den Parkplatz, indem sie ihn zum Campingplatz umfunktionierten, darunter auch ziemlich große Wohnmobile. Wäre es dort schon so voll gewesen, als wir ankamen, wären wir weitergefahren. Mehr als zwei bis drei Camper finde ich auf einem Parkplatz eher indiskutabel - je nach Größe, auf manchen Parkplätzen ist schon mehr als einer zuviel.

Aber egal, Augen zu und durch. Der Platz hatte nun einmal den unschlagbaren Vorteil, freien Blick auf Honningsvåg zu bieten. Also kletterten wir raus, es war ja schon Mitternacht.

Und als der Herr Lebensabschnittsgefährte bereits mit einem Bein aus dem Auto hing, klingelte sein Telephon. Meine Schwiegermutter - mit dem denkbar schlechtesten Timing überhaupt. Meine Schwiegermutter ist ein wirklich lieber und netter Mensch, ich mag sie. Aber jetzt sagte ich zum Lebensabschnittsgefährten: Geh nicht ran! Aber das brachte er nicht übers Herz. Er sprach kurz mit ihr, während ich noch nicht so ganz fertig damit war, mich in meine Klamotten zu quälen.

Auf der anderen Seite vom Fjord begann das Feuerwerk.

Ich hatte mir noch im Camper mehrmals gedacht (ob ich es auch gesagt habe, weiß ich nicht mehr), dass der Mann doch mal den Sekt, den er sich in einer Piccolo-Flasche mitgenommen hatte, einschütten sollte. Eigentlich ist Silvester ein Tag, an dem ich dann auch mal ein Schlückchen stark verdünnt mit O-Saft zum Anstoßen mit dem Lebensabschnittsgefährten zu mir nehme, obwohl ich sonst gar keinen Alkohol mehr trinke. Aber so schlaftrunken wie ich jetzt war, wollte ich keinen, sonst wäre mir übel geworden.

Die Schwiegermutter war abgewürgt und ich schälte mich aus dem Camper. Wenigstens war der Champagner-Niederländer nicht zu sehen (bzw. zu hören, sehen konnte ich eh nichts), auf den hatte ich nun gar keine Lust, was sich mehr auf das Gesöff als den Menschen bezieht. Denn von all den Figuren, die hier aus den Campern gekrochen kamen, schien mir der Champagner-Niederländer noch das kleinste Übel zu sein.

Wir standen im eisigen Wind, der vom Wasser her in unsere Richtung wehte. Der Wind war der Grund, warum wir nicht mit der Heckklappe zum Wasser standen. Ein Umstand, den ich in diesem Moment auf das Übelste verfluchte. Dabei kämpfte ich mit halb gefrorenen Fingern mit den Einstellungen meiner Kamera, um wenigstens ein halbwegs brauchbares Photo vom Feuerwerk zu machen.

Zeitgleich hatte der Herr Lebensabschnittsgefährte einen Disput mit dem Sekt, der sich schäumend aus der Blechtasse heraus in den Wind schmiss, um auf seiner Hose und den Schuhe zu landen.

Ich gab meinen Kampf mit der Kamera auf und machte noch ein Photo im Automatik-Modus. Dann schnautze ich den armen Herrn Lebensabschnittsgefährten dafür an, dass seine Hose nun den ganzen Camper mit Sektgeruch vollstinken würde. Mein Bedarf an Feierlichkeiten war damit gedeckt, ich wollte wieder rein und die Tür vor der Welt verschließen.

Im Inneren des Campers spülte ich die Sekttasse gründlich aus, das war nämlich meine Tasse. Dann verstaute ich die stinkenden Klamotten des Lebensabschnittsgefährten in den Tiefen der Staufächer im Beutel mit der Schmutzwäsche und suchte frisches Zeug für den nächsten Tag raus. Anschließend räumte ich auf. Inneres und äußeres Chaos sind die denkbar schlechteste Konstellation. Gegen ein Uhr legten wir uns ins Bett. Gegen drei Uhr hatte sich das innere Chaos soweit beruhigt, dass ich es noch einmal mit Schlafen versuchen konnte.

Feuerwerk

Bleibt nur zu hoffen, dass 2023 nicht durchgehend so beschissen wird, wie es angefangen hat …

Zum Schluss auch im neuen Jahr die Statistik, der Kartenausschnitt (der noch überarbeitet werden muss, Tracking-App war falsch eingestellt) und der Link zum Twitch-Video.

66 Kilometer sind wir heute gefahren.

66 km

Auf der Karte sieht das so aus:

Und hier noch der Link zum Stream:

Fahrt zum Nordkap